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Vertrauen und Zuversicht in schwierigen Zeiten

Die globalen Krisen betreffen uns alle und wirken unmittelbar in unseren Alltag hinein: Klima- und Gerechtigkeitskrise, Krieg, Pandemien…Wie können wir umgehen mit Ungewissheit und Sorgen? Was kann helfen, nicht zu verzweifeln oder in Angst und Passivität zu erstarren? Die Lehre des Buddha bietet uns eine Fülle von hilfreichen Anleitungen und Methoden und legt uns Eigenschaften ans Herz, die es gerade in schwierigen Zeiten zu entwickeln und zu stärken gilt. Eine dieser Qualitäten ist Vertrauen und Zuversicht, auf Pali saddhā. Wie so oft knüpft der Buddha auch hier an etwas an, das wir alle aus der eigenen Erfahrung kennen. Wir brauchen Vertrauen und Zuversicht, wenn wir uns auf Beziehungen einlassen, Kinder erziehen, einer Arbeit nachgehen, uns für etwas engagieren, eine Sprache lernen… Ohne Vertrauen und Selbstvertrauen wäre dies alles nicht möglich, hätten wir als Kinder nicht einmal laufen gelernt. Es geht hier also nicht darum, künstlich etwas zu erzeugen oder angestrengt auf ein fernes Ideal „hinzuarbeiten“. Stattdessen können wir uns hier und jetzt dieser natürlichen Qualität bewusstwerden, sie in uns spüren und bejahen. Als eine der fünf geistigen Kräfte (indriya) ist saddhā ein wirkungsvoller Zugang zu allen anderen förderlichen Eigenschaften. Auf was oder wen können wir vertrauen? In der bildhaften Sprache der frühen buddhistischen Texte ist die Rede von den „drei Juwelen“, Buddha, Dhamma und Sangha, zu denen wir „Zuflucht nehmen“. Wie können wir dies heute verstehen und auf unsere Lebenswirklichkeit anwenden? Da ist zunächst das Vertrauen auf unser eigenes Potential, unsere Fähigkeit, frei und zutiefst glücklich zu sein. Der Buddha sagt uns: Wir alle tragen diese Fähigkeit in uns. Wir können uns befreien von täuschenden und quälenden Geisteszuständen und wir können frei sein für ein erfülltes Leben, geprägt von tiefem Verstehen, Liebe und Mitgefühl. Der Buddha macht uns Mut: Natürlich gibt es viele Dinge, die wir nicht beeinflussen können, aber wir sind nicht hilflose Opfer des „Schicksals“, unserer Gene, unserer Herkunft und Erziehung oder „der Gesellschaft“. Wir können selbst aktiv werden, uns auf den Weg machen und unser Leben mitgestalten. Dabei können wir uns an inspirierenden Vorbildern orientieren wie dem Buddha selbst oder anderen inspirierenden Menschen. Die zweite Basis für Vertrauen und Zuversicht ist unsere Fähigkeit zu lernen und zu verstehen. Als Menschen sind wir auf natürliche Weise neugierig, wir wollen und können verstehen, was uns und anderen wirklich guttut und was nicht. Unsere Neugier, unser Interesse und unsere Intelligenz sind kraftvolle Ressourcen, die hier und jetzt schon vorhanden sind und uns immer zur Verfügung stehen. Wir müssen also nicht warten, bis irgendetwas besser oder anders geworden ist, sondern können zuversichtlich da beginnen, wo wir sind. Wir lernen durch das Leben selbst, aus unseren Erfahrungen, aus allem, was uns täglich begegnet: „Jeder Augenblick kann dein Lehrer sein“, so hat es Jon Kabat-Zinn auf den Punkt gebracht. Dabei können wir uns auf die vielen Erkenntnisse und praktischen Hilfsmittel stützen, die die Lehre des Buddha für uns bereithält. Die dritte Kraftquelle für Vertrauen und Zuversicht schließlich ist die Erkenntnis, dass wir nicht allein sind. Wir schöpfen Kraft aus der Verbundenheit mit anderen: Menschen, die uns nahestehen, Freundinnen und Freunde, Lehrerinnen und Lehrer, Menschen, die mit uns auf dem Weg sind, Menschen, denen wir vertrauen und die uns vertrauen können. Wir können auch auf die beruhigende Gewissheit setzen, dass es über viele Generationen hinweg Menschen gegeben hat, die in ihrem Leben Weisheit, Liebe und Mitgefühl verwirklicht haben. Vertrauen fühlt sich warm und kraftvoll an; zugleich ist es eine bewusste innere Haltung, auf die wir immer wieder zurückgreifen können, im Alltag wie in der formalen Meditation. Wenn wir mit der Kraft des Vertrauens verbunden sind, spüren wir Wärme, Energie, Weite, und können mit herausfordernden Situationen besser umgehen. Was können wir tun, um diese Kraft in uns zu spüren und zu stärken, gerade auch, wenn uns „nicht danach ist“, wenn Schwierigkeiten uns zu überwältigen drohen und wir nur allzu geneigt sind, den Mut sinken zu lassen? Einen Zaubertrank wie bei Asterix und Obelix gibt es zwar nicht. Aber was vielen Menschen hilft, sind die bekannten und erprobten „klassischen“ Mittel aus der Lehre des Buddha: • Den Atem und den Körper spüren, vereinfachen, sich immer wieder erden, ob in der formalen Meditation oder im Alltag, ganz präsent sein für das, was gerade jetzt ist. • Die vier unermesslichen Herzensqualitäten einladen: Freundlichkeit, Mitgefühl, Freude, Gleichmut. Dabei gilt es, gerade auch inmitten des Schweren und Belastenden offen zu bleiben für das, was gut ist in unserem Leben. Wofür kann ich gerade jetzt dankbar sein? Und die kleinen Dinge wertschätzen, die oft „unter dem Radar“ bleiben: Die Wärme der Morgensonne auf meiner Haut, Vogelgezwitscher, ein Kinderlachen, ein Schluck heißer Kaffee… • Sich mit anderen verbinden: Immer wieder in den Kontakt gehen, sich austauschen, gemeinsam meditieren, sich gemeinsam engagieren… Es tut einfach gut zu spüren, dass wir nicht allein sind mit unseren Sorgen und Nöten und dass andere unsere Werte und Ziele teilen. Auch andere Mittel können hilfreich sein: Manche schöpfen Kraft aus Ritualen; für andere sind es inspirierende Texte oder Musik; viele finden Vertrauen und Zuversicht in der Natur… Was auch immer hilft: Wir dürfen kreativ sein und mit Selbstfürsorge und Selbstmitgefühl die Ressourcen aufspüren und uns zunutze machen, die saddhā stärken. Dass wir dies oft schon wissen, dass wir den Zugang zu dieser Kraft schon kennen, dass es etwas in uns gibt, das auch in schwierigen Zeiten trägt: Auch darauf dürfen wir vertrauen. Und natürlich brauchen wir Vertrauen und Zuversicht auch, um ins engagierte Handeln zu kommen, gerade angesichts der globalen Krisen, von denen eingangs schon die Rede war. Schließen möchte ich deshalb mit einem Zitat von Sylvia Kolk zu diesem Thema. In einem Interview („Buddhismus aktuell“, 4/20) gab sie auf die Frage: „Bist Du politisch hoffnungsvoll?“ folgende Antwort: „Ich bin hoffnungslos zuversichtlich. Auch wenn morgen die Welt untergeht, ich bleibe grundsätzlich zuversichtlich, weil es mir Energie gibt. Das heißt, ich stehe in meiner Kraft. Auch die Psychologie weiß, wie wertvoll die Ressource Zuversicht ist. Und wenn es ausreichend heilsame Kräfte gibt, können sich evolutionäre Prozesse ereignen, die wir nicht vorausberechnen können. Eines habe ich auf diesem Weg definitiv gelernt, und das ist Geduld. Geschichte ist immer im Fluss und daher bleibt mir nichts übrig, als zu vertrauen, dass ich immer zur rechten Zeit am rechten Ort bin. Bereit, mich zur Verfügung zu stellen.“

Wir brauchen Vertrauen wie die Luft zum Atmen

(Sylvia Wetzel)

Buddha-Figur

Freude und Mitfreude

Freude und Mitfreude, wertschätzende Freude, muditā: Die dritte der vier „unermesslichen“ Herzensqualitäten, zu denen der Buddha uns einlädt, ist ein wesentlicher Teil des Weges zur inneren Freiheit. Zusammen mit den drei anderen Herzensqualitäten der Freundlichkeit, des Mitgefühls und des Gleichmuts verkörpert sie eine Grundhaltung, die auf Offenheit und der Bereitschaft beruht, sich zutiefst berühren zu lassen. Wie das Mitgefühl die natürliche Erfahrung ist, wenn das offene Herz mit Leid in Berührung kommt, so ist die Freude die Erfahrung, wenn das Herz dem Guten, dem Schönen, dem Heilsamen, dem Beglückenden begegnet. Da mögen angesichts der Sorgen und Nöte vieler Menschen Fragen aufkommen: Freude, auch wenn ich gerade in Schwierigkeiten bin? Freude, auch wenn es vielen schlechtgeht? Geht das? Darf man das? Steht mir das zu? Bei der Art von Freude, von der hier die Rede ist, geht es niemals darum, das Schwierige und Schmerzhafte in unserem Leben zu verleugnen oder zu verdrängen. Stattdessen kultivieren wir mit der Entwicklung von muditā eine Eigenschaft, die uns hilft, den Mut nicht zu verlieren, wenn es eng wird, eine Ressource, die uns immer wieder die Kraft geben kann, dem Schwierigen und Schmerzhaften mit Mitgefühl und, wo immer möglich, tatkräftigem Engagement gegenüberzutreten.    Freude können wir nicht planen, nicht erzwingen oder organisieren. Wir müssen sie aber auch nicht einfach dem Zufall überlassen, sondern können lernen, dieser Qualität in unserem Leben Raum zu geben, den Blick zu weiten und uns zu öffnen für das Gute, das schon da ist, bei uns und bei anderen. Vieles kann uns Freude bereiten, wenn wir wach und empfänglich dafür sind. In der buddhistischen Tradition wird die Freude meist als „Mitfreude“ vermittelt: Sich über das Glück und das Wohl anderer von Herzen freuen zu können, ihre guten Eigenschaften zu würdigen, auf andere mit Wertschätzung und Anerkennung zuzugehen – das ist ein wundervoller Aspekt. Genauso können uns auch freuen über das Gute in uns selbst, über unsere eigenen positiven Eigenschaften. Sind wir bereit, uns das zuzugestehen oder sperrt sich da etwas in uns? Was kann ich bei mir selbst aufrichtig wertschätzen? Vielleicht Hilfsbereitschaft? Vielleicht Geduld oder Humor? Vielleicht die tiefe Sehnsucht, ein erfülltes Leben zu führen? Es tut gut, sich regelmäßig die eigenen guten Qualitäten vor Augen zu führen. Oft sind es unsere eigenen Ansprüche und Erwartungen, die der Freude im Weg stehen; das Gefühl, es reicht nicht, das Gefühl, zu kurz zu kommen. Oft ist es auch das ständige Vergleichen und Messen mit anderen: Wer hat mehr, kann mehr, ist besser, schneller, klüger, stärker? Die Berliner Singer-Songwriterin Dota Kehr hat dazu in einem ihrer Lieder eine berührende Zeile verfasst, sie sagt: „Ich trag´ Dich im Herzen so oder so - Du musst Dich nicht messen“. Können wir mit dieser Einstellung auf andere zugehen und uns dies auch selbst zugestehen? Können wir uns mit unseren Stärken und Schwächen einfach annehmen, uns selbst eine gute Freundin, ein guter Freund sein? Können wir uns selbst und andere „so oder so“ im Herzen tragen? Christina Feldman, die renommierte englische Dharma-Lehrerin und Autorin, führt in ihrem wunderbaren Buch „Boundless Heart“ eine Reihe von Eigenschaften auf, die eng mit der Freude zusammenhängen: Wertschätzung, Dankbarkeit, Zufriedenheit, Zuversicht. Auch eine grundlegende ethische Ausrichtung wird in der buddhistischen Lehre als Grundlage der Freude gesehen: Sich immer wieder darin zu üben, niemandem zu schaden und niemanden zu verletzen. Und natürlich die Achtsamkeit, sati; allein schon die Erfahrung, ganz präsent zu sein, birgt eine stille Freude in sich - wenn wir uns dafür öffnen können. Diese Art von Freude muss nicht spektakulär sein; wir können uns zum Beispiel fragen: Kann dieser Augenblick, hier und jetzt, einfach ok sein? Ein Dach über dem Kopf, genug zu essen, liebe Menschen in meinem Leben, nah oder fern, Zugang zu den großen spirituellen Weisheitslehren…Vielleicht machen wir auch einen Spaziergang in der Natur und richten all unsere Sinne darauf aus, was uns dort draußen Freude bereiten kann? Um es noch einmal mit Thich Nhat Hanh zu sagen: Der blaue Himmel, der Sonnenschein, die Augen eines Babys…Und wenn uns das nächste Mal jemand begegnet, der etwas Schönes aus seinem Leben erzählt: Warum nicht einfach mitfreuen?

Das Leben ist voller Leiden, aber auch voller Wunder: der blaue Himmel, der Sonnenschein, die Augen eines Babys. Leiden ist nicht alles. Wir müssen ebenso mit den Wundern des Lebens in Berührung sein. Sie sind in uns und um uns herum, überall, jederzeit. 

(Thich Nhat Hanh)

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